Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet


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Erinnerungen an Walter Kühr

Manche Nachrichten nehmen aberwitzige Umwege und wissen offenbar genau, warum sie es tun:
Walter Kühr, der am 2. Januar 2015 in New York gestorben ist, war kein Freund der korrekten Wege – die ihn vielleicht vor die Mosaiken von Ravenna, doch gewiss nicht in den Ölhafen dieser Stadt geführt hätten. Worauf er stolz wie Oskar war.
Ein fantastischer Akkordeonist, der Flohmärkte nach Sirenen abklapperte, weil er deren Sound so liebte. „Accordeon Guru“, „Evangelist who spread the gospel of the accordeon“ – jeder Versuch, die New Yorker Nachrufe zu toppen, kann nur scheitern. Da es keinen Deutschen gibt und ich keine Musikkritikerin bin, versuche ich’s auf meine Weise, höchst persönlich also. Weiterlesen →


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Highlights und Höhepunkte

In meiner Astroschule erhielt ich die Aufgabe, die drei Highlights meines Lebens zu benennen. Haha, dachte ich mir zuerst, mit den Lowlights/Tiefpunkten hätte ich echt weniger Probleme. Da würde ich eher sagen: Nur drei??? Nächste Reaktion: wie bist du denn neuerdings drauf, liebe Astrid? Etwa nörgeldeutsch?
Ich suchte und fand sie und denke gern daran zurück – z.B. wie ich 1977 zum ersten Male nach Italien reiste, auf einem Böötchen stand und Venedig aus dem Wasser auftauchen sah…
Ich sprach mit vielen Freunden darüber und lernte ihre Highlights kennen. Das ging vom BVB-Championsleague-Sieg bis zu einem Konzert aus Kindertagen. Es waren jeweils prima Gespräche, bei denen ich viel über die Unterschiede in unseren Bewertungen und Empfindungen erfahren durfte.
Mich selbst hat’s im Jahre 2014 nicht sonderlich gezaust – habe ja 2013 mein Fett weggekriegt. Für viele Freunde und Bekannte jedoch war es ein ungemein hartes Jahr und von den Ereignissen in der Welt wollen wir gar nicht erst anfangen.

Deshalb nun eine kleine Silvesteraufgabe für euch: was war das Highlight dieses Jahres?

Ach, was wäre das fein, wenn ihr es mir hier als Kommentar hinterlasst. Damit kann das nächste Jahr gut und gerne beginnen. Ich verrate dann auch meines.


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Weihnachtsgeschichten

Wirklich und wahrhaftig, ich bin aus meinem Tiefschreibschlaf erwacht und es gibt neue Kurzgeschichten von Jette Dorka und unsereiner zu lesen. Da uns die sog. Krise immer noch nicht verlassen hat, habe ich sie unter dem Titel MERRY CRISIS zusammengefasst.

  • astrid-petermeier-akropolis-adieu
    Sowohl Jette als auch ich freuen uns jetzt schon auf eure Kommentare und hoffen, dass ihr jede Menge davon hinterlasst.


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    Wenn du die Götter amüsieren willst…

    Eine fleißige Bloggerin bin ich ja nicht gerade. Hängt damit zusammen, dass ich wieder wie eine Wilde an meinem Roman schreibe. Aaaber: ich gelobe Besserung, damit es auch lohnt, hier regelmäßig mal reinzuschauen.
    Anbei ist eine neue Kurzgeschichte entstanden. Nein, nicht der versprochene Hauptbahnhof, dafür die Leiden einer Frisöse in der verquatschten Welt. Findet ihr unter Kurzgeschichten – wo auch sonst?

    1. Prämisse der Götter

    Meinen Roman habe ich ja schon mal erwähnt. Als er mitsamt meinem Laptop bei dem Einbruch den Verschwindibus machte (siehe Klirrendes Jubiläum).
    Seine Geschichte beginnt allerdings schon viel früher, nämlich 2009, als ich noch die Drehbuchschule besuchte. Einer Pause frönend saß ich in einem Berliner Café, da rief mein Freund Matthias Jackisch an. Der ist Bildhauer aus Dresden (seine Seite zu besuchen, lohnt sich sowieso, siehe links) und amüsierte sich prächtig darüber, wie eine alte Kunsthistorikerin mit Feuereifer die Kunst des Drehbuchschreibens erlernte.
    „Stell dir doch mal dieses Szenario vor: Krise, die Banken kaufen keine Kunst mehr. Jedenfalls keine, die nicht von namhaften Künstlern stammt.“
    Die Krise war damals ja noch ziemlich frisch und wir ahnten erst, wohin sie uns führen könnte.
    „Eine kleine Künstlergruppe macht eine Bank.“ erzählte Matthias weiter. „Sie lassen ausgleichsweise Bilder da. Nur einer, so einer, der die Bedeutungslosigkeit überhaupt nicht erträgt, der hat sein Bild signiert.“

    Dieser Stoff faszinierte mich von Anfang an. Über einen Mangel an krimineller Energie kann ich nicht klagen. Ich brütete erstmal über der Frage des THEMAS. Drehte es sich um Eitelkeit? Um etwas, das der gute alte Georg Kreisler in dem feinen Satz „jedem Künstler ist es recht, spricht man von andern Künstlern schlecht“ zusammenfasste?
    Unser Drehbuchlehrer Wolfgang Pfeiffer hatte uns vor allem eines eingeprägt: entscheidend ist die Prämisse. Ich erzähle eine Reihenfolge von Ereignissen schließlich nicht, weil ich sie so besonders witzig oder tragisch finde, sondern weil ich eine Aussage treffen will. Welche Bedeutung haben die Dinge, die ich erzählen will, vor dem Hintergrund eines ganz bestimmten Themas?
    Ach, Wolfgang Pfeiffer, habe ich dir je gesagt, wie dankbar ich dafür bin, dass du so lange auf der Prämisse rumgeritten bist, bis wir fast alle die Krise kriegten?

    Für mich war eines klar: die WELT, in der mein Stoff seinen Platz finden soll, ist das Ruhrgebiet. Hier lebe ich, hier kenne ich mich in den Städten, Stadtteilen, Gemäuern und mit der Mentalität der Menschen aus. Diese Welt kann ich dem Leser wie eine kleine Schatzkiste öffnen.
    Passt das Thema EITELKEIT in diese Welt? Als die Jungs im Bergbau noch richtig gut verdienten, da war ihre Eitelkeit abends in den Discos zu besichtigen: in teuerste Plante geschmissen sahen sie richtig schick aus mit den Kohleresten in den Wimpern, die wie Kajal wirkten. Aber dem Bergbau mussten wir längst adieu sagen und wenn ich ehrlich bin, langweilt mich Eitelkeit.
    Ich beschäftige mich gern mit dem, was ich um mich herum täglich erleben kann. Da ich eine Nordstadtpflanze bin, ist das oftmals die Frage von WERTEN.
    Hat Kunst, Kultur hier überhaupt einen Wert oder gehört sie denen, die im Süden der Stadt, im Kreuzviertel oder gleich in Düsseldorf leben? Müssen die Menschen, die hier um ihr Überleben kämpfen, kulturell zwangsbeglückt werden? Was ist mir die Freiheit wert, Zeit zum Malen, Schreiben, Denken und Dösen zu haben? Was ist Arbeit wert? Muss sich der Harzer schämen, der am 31. in der langen Schlange vor den Nordstadt-Bancomaten steht und sich hinterher von der Nachbarin, die den hinterletzten Job der Welt ergattert hat, auch noch anhören darf: „die haben heute Geld gekriegt“? Darf man zu einer Vernissage gehen, weil es da neben Sekt und tiefen Ausschnitten auch ein prima Buffett gibt? Für die eine hat die Nordstadt, das Ruhrgebiet den Wert von Heimat und Inspiration, für die andere den von Abenteuer – „da würde ich mich nachts alleine nie durchtrauen“…
    Kurzum: ich erkor nach langer Suche und vielen Versuchen die Frage nach Werten zu meinem THEMA.

    Welchen Wert hat Kunst, Kulturschaffen für uns? Muss man nicht reichlich plemkacki sein, wenn man sich dafür entscheidet und auf ein bequemes Leben mit Auto, Urlaub, Essengehen und Fußbodenheizung verzichtet?
    Aus einer anderen Sicht betrachtet: 1000 Euronen für ein Bild, von dem man nicht mal weiß, wo oben und unten ist? Wie viele Karten für’s Stadion kriegte ich dafür? Aber mein Frollein Tochter, die hat mindestens so tolle Kümpchen wie die Heidi und wird bestimmt das nächste Supermodell. Wenn sie dann megareich ist und wir die Villa auf Manilla haben, dann hängen wir da auch ein ganz berühmtes Bild rein.

    Fragt sich, ob Werte überhaupt materieller Natur sind. Wenn ich jetzt unbedingt ein Cabrio besitzen muss, geht es mir dann um die 20.000 Mille, die es kostet oder um den Wind in den Haaren und die neidischen Blicke der Nebenans?

    Zu den alten Werten des Ruhrgebiets gehörte der Zusammenhalt. Weil unter Tage nicht viele überlebt hätten, wenn sie sich beim Krachen im Gebälk einen Kopf drum gemacht hätten, ob der Kumpel neben ihnen aus dem Kreuzviertel, aus Plovdiv oder gar aus königsblauem Revier kommt. Seit wie vielen Jahrzehnten faseln wir hier jetzt vom Strukturwandel? (m.E. ist der längst inne Strukturwanne abgesoffen) Wandeln sich die Werte mit der Struktur? Wenn man gar keine mehr oder noch keine neue Struktur hat, hat man dann auch keine Werte mehr oder ist anderen nichts mehr wert? Kann Kunst, Kultur, zu dieser unserer Wertschätzung etwas beitragen?

    Das wollen wir doch mal sehen, sagte ich mir, als ich meine Prämisse nach langer Jahre Vorarbeit und mit dem entscheidenden Hinweis von Sybille (siehe links, huhu, Sybille!) auf die Wertedebatte endlich beisammen hatte:
    Stoff: Künstler machen eine Bank, lassen Bilder da, doch einer kann nicht anders: er signiert, was ein Bild ja wertvoller machen soll.
    Welt: Ruhrgebiet, Dortmunder Nordstadt, Welt des Strukturwandels
    Thema: die Werte des Lebens
    Thematische Frage: für welche Werte lohnt es, das hohe Risiko eines Bankraubs einzugehen?
    Idee: die Erkenntnis der Werte hinter den Dingen ist immer das Risiko der Veränderung wert.
    Plot: Magdalena will ihre Heimat in der Nordstadt erhalten. Sie kämpft und – – – ich werde jetzt doch nicht verraten, ob sie gewinnt oder scheitert.

    Wer soll jetzt Magdalena sein? fragst du dich.
    Das erzähle ich nächstes Mal und sage mutig: in einer Woche!


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    KLIRRENDES JUBILÄUM ZUM ZWEITEN

    schuesseln

    Ich zitiere mal aus einer mail, die ich zum ersten Teil dieses Blogs bekam:

    „Frau, was Du so alles überstehst. Ich bin froh, dass Du weiter schreibst, es geht ja nun mal nicht, einmal getipptes noch mal zu Papier zu bringen. Also mein Kopf kann das leider nicht. Es scheint so, als ob der in dem Moment, wo ichs hinschreibe den Speicher löscht.
    Irgendwo habe ich aber mal gelesen, dass Liao Chiwu eine Roman noch mal geschrieben habe, das können nur Chinesen, dachte ich dann. Allerdings waren die Umstände sehr zwingend. Und Du? Schreibst Du einen Neuen?“

    Kurze Antwort meinerseits: Einen ganz Neuen??? Hilfe!
    Längere Antwort oder auch FORTSETZUNG:

    Nach dem Einbruch vor einem Jahr habe ich meinen Roman WENN DU DIE GÖTTER AMÜSIEREN WILLST, MACHE DIR EINEN PLAN keineswegs aufgegeben. Mir war ja schließlich nur die erste Fassung, in der übrigens die Spurensicherung der Polizei bei einer Protagonistin alles einpudert, mitsamt Labtop geklaut worden.

    Zwei Worte sollten in den Tagen darauf mein Hassprogramm werden:
    Haftpflichtversicherung und Sicherungskopie.

    Beides nicht vorhanden. Die Spurensicherung kam erst nachts um halb 12 (im Ernst! der 7.4.2013 muss ein verflixt diebes-intensiver Tag gewesen sein): mit einem Pinselchen gingen sie auf die Porzellanschale los, in der zuvor mein Goldschmuck weilte. Ich stellte ihnen zu diesem Behufe noch die Holzplatte meiner Küchenanrichte zur Verfügung, was ich bereuen sollte. Das Zeug klebt wie Hacke! Wer sich vorstellt, man könne dieses Puder mit einer Quaste aufnehmen und nochmals verwenden, ist aber schief gewickelt. Unsereine hat ordentlich schrubben dürfen, um ihre lackierte Holzplatte wieder in einen annehmbaren Zustand zu verwandeln.
    Na, beim Putzen kommen mir ja immer die besten Ideen. Meine kleine Erleuchtung lautete:

    ASTRID, DU EXISTIERST JETZT NUR NOCH IN GEDRUCKT.

    Denn ich bin ja, wie man bei egostattvita nachlesen kann, eine Ausdrucksfetischistin. Ohne Drucker würde ich bekloppt – insofern sei’s den Göttern getrommelt und gepfiffen, dass die Einbrecher wenigstens diesen zurückließen. Ich kann am Bildschirm nicht Korrektur lesen.
    Es soll Leute geben, die erstmal die Scherben zusammenkehren oder panisch bei Freunden unterkriechen oder sich gar eine neue Wohnung suchen. Tja, so ist unsereine aber nicht gepolt. Wenn man schon nur noch in gedruckt existiert, hockt man sich vor die Ordner und sortiert die Gliedmaßen.
    Die erste Romanfassung nenne ich jetzt mal das Herz: es schlug noch!
    Selbst eine kurze Beschreibung der schon lange nicht mehr existierenden Bahnhofskneipe CITITREFF AM FRÜHEN MORGEN lungerte unberührt zwischen Pappdeckeln, die ich mit „Miniaturen“ beschriftet hatte (da will ich ihr in den nächsten Tagen doch mal die Ehre des Abtippens, Korrigierens und der Veröffentlichung unter Kurzgeschichten geben.)

    Meine Tätigkeit als ERMITTLERIN beschränkte sich auf zwei Dinge.
    1. ich latschte von Büdchen zu Büdchen und bat die Besitzer, augenblicklich 50 € auf den Tisch des Hauses zu legen, falls ihnen jemand einen Acer-Labtop anbiete. „Wie?“ Hakan sah mich an, als hätte ich eins an der Waffel. „Ich soll nicht die Polizei rufen?“ Von mir aus konnte er auch das tun. Hauptsache, ich kriegte meinen Labtop wieder. Wenn er sich traute, den Dieb festzuhalten… Ich sah den Labtop nie wieder – ebensowenig, wie ich je erfuhr, ob die Polizei etwas mit den beiden Fingerabdrücken anfangen konnte.
    2. ich fragte alle Nachbarn, ob sie etwas gehört hatten. Da ich nicht mal weiß, ob STRASDUJTJE Prost oder GutenTag bedeutet, kam ich damit nicht weit. Sonntags morgens um halb 10 scheinen alle dem russisch-orthodoxen Fernsehgottesdienst zu folgen (endlich habe ich mal eine Erklärung für den Schüsselwald in meinem Hinterhof: ist er nicht ganz bezaubernd?) Immerhin: einer hatte es um diese Uhrzeit scheppern gehört. Tja, da konnte ich doch wenigstens ein Horoskop für diese Stunde erstellen und das sagte mir mehr als alles.

    Nordstadtromantik pur

    Nordstadtromantik pur

    Zwei Anrufe sorgten endlich dafür, dass ich in Wut und Tränen aufging.
    Mein Vermieter war der Ansicht, dass meine Hausratversicherung für den Ersatz der Scheibe zuständig sei. Gaha! Anno 1993 erklärte mir eine solche Versicherung nach einem Brand, dass sie nicht für neue Tapeten aufzukommen gedenke, weil ich die beim Auszug ja nicht wieder mitnehme. Da entschied ich, denen auch mein Sauerverdientes nicht mehr in den Rachen zu werfen. Zwanzig Jahre später war ich zu logischen Kombinationen nicht mehr in der Lage. Sonst hätte ich mich vielleicht gefragt, ob ich etwa eine Terrassentür mitnehmen wolle, wenn ich mal umziehe.
    Alles Kokolores, bei gewaltsamem Einbruch ist die Hausversicherung des Vermieters dran, zumindest, was den Schaden am Gebäude betrifft. Unser Hausmeister ist aber keineswegs so fürsorglich und krabetzig wie der Hausteipel, den ich als Romanfigur entworfen hatte. Der hätte sich garantiert um mich gesorgt statt um die Patte irgendwelcher Versicherungen. Als unser Hausi mir vorhielt, dass meine Hausrat oder ich schließlich auch zahlen müssten, wenn die Feuerwehr meine Tür aufbräche, weil ich tot dahinter liege, kam in mir die Wut hoch: ich habe schließlich keinen Schaden durch böswilliges Versterben verursacht. Die Attacke kam von außen!

    Ich heulte gerade so richtig schön vor Wut, da rief meine Schwester an: ob ich einen Vize-Ersatz-Labtop brauchen könne? Es sei ein uraltes Möhrchen, aber funktionstüchtig. Oh Tränen, nehmet euren Lauf, Fluss, Strom. Das war der Moment, in dem ich spürte, dass ich außer meinem göttlichen Roman-Herz und jeder Menge papierner Knochen auch Wasser, Emotionen, eben alles, was zum Krebs gehört, in mir hatte.
    Und als ich wieder zu mir kam, sagte ich mir: so, nun musst du nur noch alles wieder abtippen. Ach pah, nimm es als Hinweis der Götter: du wirst korrigieren, verbessern, eine zweite Fassung schreiben und die wird bestimmt viel besser als die Erste.

    FORTSETZUNG FOLGT.


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    KLIRRENDES JUBILÄUM

    „Wieso pfeift dieser Schiri nicht ab? Ist bei dem Zuhause nix los?“
    Ist ja ne Frage, die man sich durchaus stellen darf, wenn der BVB gegen WOB 2:0 führt. Ach, das war mal richtig schön neulich mit meiner ganzen Familie in der Porreebar. Ein Prosit auf die Frau vom Nachbartisch, die mich mit diesem Ausspruch beglückte.

    Ungefähr so wie die Uhren dieses Schiris tickt auch meine innere Uhr. Da dachte ich, dass vor genau einem Jahr bei mir die große Scheibe zu Bruch ging und was ist? Vertan, vertan, sprach der Hahn, das war vor einem Jahr und drei Wochen. Da habe ich also mein Jubiläum des klirrenden Schreckens verpasst.
    Ich hatte mir ein Auto geliehen, um in aller Frühe zu einem kleinen und keineswegs spaßigen Ausflug nach D’dorf (das bei uns ja Dummsdorf heißt) aufzubrechen. Bei der Rückkehr in meinen Hinterhof sehe ich es. Besser gesagt: glotze auf das, was mal meine große Glastür zur Terrasse war. Es ist eine Art Schockstarre: statt Angst spüre ich Unglauben, so als fügten sich die Scherben gleich wieder zu einer Scheibe zusammen. Mir fällt nur eine Frage ein: wieso ist das Hoftor eigentlich nicht verschlossen?
    Ach so: es ist ein sonniger Sonntagvormittag und so ein Doppelglas mit zwei Wackersteinen einzuwerfen, muss einen Lärm sondergleichen gemacht haben. Die Wackersteine liegen noch da, als wären sie mehrfach von der Scheibe abgeprallt.
    Zum Glück ist ein guter Freund bei mir, dem sofort einfällt, die Polizei zu rufen. Mir kommt nicht mal die Idee, dass die Einbrecher noch drin sein könnten, dass mir Gefahr droht. Sie sind es nicht. Ich sehe, dass ich jetzt keinen Fernseher und keinen Labtop mehr habe – beide Geräte ordentlich ausgestöpselt, die verbleibenden Kabel liebevoll über die Sofalehne gelegt. Keine Unordnung, kein Durchwühlen, kein Vandalismus.

    Bumm, angekommen: auf diesem Labtop war die erste Fassung meines Romans mit dem Arbeitstitel:
    WENN DU DIE GÖTTER AMÜSIEREN WILLST, MACHE DIR EINEN PLAN.

    Bin ich nicht vor einem Monat noch stolz und glücklich gewesen, zum ersten Mal in meinem Leben so eine lange, große Geschichte „zu Ende“ geschrieben zu haben? Nicht, dass es die erste Geschichte war, die ich schrieb. Doch nie zuvor hatte ich diesen Punkt erreicht. Immer blieb eine Unzufriedenheit, ein so-geht-es-nicht.
    ARRGH! Da fällt mir ein, dass auch alle anderen auf diesem Labtop sind. Weg! Alles weg!

    Schreibarbeit aus zwanzig Jahren. Jetzt wäre es an der Zeit, eine Runde zu heulen. Oder an so dämliche Worte wie Sicherungskopie zu denken. Die Polizei lenkt mich davon ab. Wenn ich mal mit der Polizei zu tun kriege, ist eine blonde Polizistin mit Pferdeschwanz dabei. Das war schon so, als vor Jahren in einer anderen Stadt Vandalen mein Auto ruinierten. Das Großstadtrevier lässt grüßen.

    Ich bitte sie, mit meinem Nachbarn zu sprechen. Der hört immer alles, sogar, wenn in der Nebenwohnung einer Yoghurt löffelt. Da ich ausgesprochen gern Yoghurt löffle und sogar nach Einbruch der Dunkelheit noch eine Tastatur zu bedienen wage, hat er mich noch nie zur „Nachbarin des Jahres“ gewählt (eine Musikanlage habe ich jedenfalls nicht und wenn, dann hätte ich sie sowieso nur bis zu diesem Tag gehabt). Seit vier Jahren protokolliert er jede meine Regungen, vom nächtlichen Gang zur Toilette bis zur Auswahl des Fernsehprogramms.
    Am 7. April 2013 endlich kam sein Tag der Rache des kleinen Mannes: um Fünf, sagte er, habe ich mal wieder entsetzlich rumgelärmt. Danach will er fest geschlafen haben.
    Die Polizistin ist beeindruckt davon, dass er Kaffekochen als Lärm empfindet, bei zwei dicken Wackersteinen in meine Scheibe jedoch ratzen kann.

    Ich stelle fest, dass noch mehr fehlt. Das Portemonnaie aus meiner Schreibtischschublade (Inhalt 20 €, bin ja nicht reich). Mein Goldschmuck, bestehend aus drei winzigen Kettchen, die man sorgsam aus 5 Pfund buntem Modeschmuck herausgesucht hat. Soviel Zeit muss sein, nicht wahr? Ha, ihr Deppen, das Portemonnaie, das offen auf der Anrichte lag, das habt ihr wohl übersehen. Da war mehr drin!

    Und noch was habe ich euch zu sagen:
    der Fernseher war erstens Größe Mäusekino und zweitens sowieso kaputt. Versucht mal, eine DVD zu gucken und ihr werdet’s merken. Der Labtop war asbach-uralt, nämlich von 2007 und damals schon nicht das neueste Modell. Sonst hätte ich ihn wohl kaum als Dreingabe zu einem Händivertrag bekommen.
    Zwanzig Euro, drei Goldkettchen und zwei Mal Elektronikschrott – da ward ihr aber mal richtig erfolgreich!
    Ich gehe mit Gehässigkeit gegen das immer lauter werdende böse Wörtchen Sicherungskopiein meinem Kopf vor.

    Verdorricht, ihr geschätzten Götter, was war euer Plan?


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    Alices Ismus im Feminismus

    Was muss ich eigentlich veranstalten, wenn ich mich im März 2014 noch über Alice Schwarzer verbreiten will? Betonen, dass ich Feministin bin? Bin ich das – noch? Dazu später… Betonen, dass ich mich nicht bösartig über unser aller Ikone der Frauenbewegung zu äußern gedenke? Aber doch, ich bin böse.

    Zum Beispiel darüber, dass ich in den frühen 80ern für die „LAWINE. Frauenblatt im Ruhrgebiet“ eine kleine Satire über Stricken als weibliche Widerstandsform schrieb, die Alice ihr Emma-Frauenkalender übernahm. Ohne mich oder die Lawine-Redaktion zu fragen, ohne eine müde Mark an unser autonomes und finanziell arg lädiertes Blatt rauszurücken. Ja, sogar, ohne uns davon zu unterrichten oder wenigstens ein kostenloses Belegexemplar zu stiften.
    Jetzt kommt die mit sooo ollen Kamellen, sagt ihr?
    Zugegeben, mir war diese Erinnerung an unsere IkonederFrauenbewegung auch schon so gut wie abhanden gekommen. Bis mir diese Frage durch die Rübe runkelte: Womit hat Alice eigentlich die Kohle gemacht, die sie aus purer Angst vor Verfolgung in der Schweiz bunkerte? Meine Stricksatire dürfte so viel nicht wert gewesen sein. Aber ich war wohl kaum die einzige, die umsonst und ungefragt für ihre bestens situierten Projekte schreiben durfte.
    VERFOLGT haben wir Lawine-Frauen sie dafür nicht – das möchte ich hier aber mal festhalten. Wir haben uns nicht mal beschwert, weil wir damals auf sowas wie den Weiber-kriegen-sich-in-die-Haare-Zirkus keine Lust hatten.

    Wie schön, dass Alice vor 3 Jahren ENDLICH auf die Idee kam, von ihren REICHTÜMERN eine Stiftung für Frauen zu gründen. Noch schöner für sie, dass sie damit jetzt richtig punkten kann. (wobei sie mit ihrer Verfolgungs-Nummer auf meiner Hitliste schon jede Menge Punkte für die originellste Ausrede der Steuerhinterzieher dieses Jahrzehnts gesammelte hat).
    Schön vielleicht auch für die Frauen, die mal wieder autonome Projekte in Angriff nehmen, die von Staatsknete so unabhängig wie Alice sein – – – wollen oder müssen?
    Woher soll der Staat noch Kohle für Frauenprojekte nehmen, wenn ihm die Steuern entzogen werden?
    Schon mal daran gedacht, Frau Schwarzer?
    Hach, die reuige Einsicht kam Ihnen sicherlich, als die öffentlichen Quellen für IHR Kölner Frauenarchiv versiegten. (Wenn Sie mir diesmal was dafür zahlen, dürfen Sie diese Ausrede gern benutzen – ich sag’s auch nicht weiter.) Sonst könnten wir ja noch auf krumme, der Ikonenehre abträgliche Ideen wie diese kommen: das Zeitfenster für Selbstanzeigen steht nicht mehr lange offen und/oder: da hat unsere Ikone doch rasch die Gelegenheit genutzt, bevor die alten Macho-Bösewichte mit illegal beschafften Steuer-CDs ihr auf die Schliche gekommen wären.

    Aber jetzt wird’s ja eine Stiftung geben und alles ist wieder in Butter…
    FÜR WEN darf denn diesmal gestiftet werden? Vorschlag gefällig?
    Bei uns in Dortmund (Sie wissen schon: Ruhrgebiet, Empfangshalle für die ganz armen Schweine und Schweininnen aus Südosteuropa), bei uns in der Nordstadt also musste KOBER dicht machen – nach Entzug von Staatsknete, versteht sich. Altes Hurenhilfeprojekt, das den Frauen ein wenig Sicherheit zu geben versuchte. Stellen Sie sich das vor, Frau Schwarzer: erst machen die uns den Straßenstrich im Gewerbegebiet dicht und dann Kober. Wenn das eine nicht mehr da ist (merkt doch keiner, wenn die Prostitution in die Wohngebiete schwappt), brauchen wir ja auch das andere nicht mehr = kein offizieller Straßenstrich = keine Prostitution = keine Hurenhilfe mehr nötig. So einfach ist das. Bei uns in Dortmund glauben das jedenfalls so ein paar Scheinheilige.

    Also, wie wär’s? Kohle aus Ihrer Stiftung für Kober?
    Ich fand’s schon früher erfrischend, unabhängig von Staatsknete zu sein. Frau denkt in autonomen Projekten einfach freier von Anforderungen, Auflagen und Antragsformularen.
    Nee?
    Kober geht nicht? Die wollen ja nicht mal die Prostitution verbieten! Die wollen bloß dafür sorgen, dass die Frauen ärztliche Untersuchungen, Kondome, Beratung und Menschlichkeit erfahren…
    Mein lieber Ikonen-Gesangsverein, das geht ja nun wirklich nicht. Ein Frauenprojekt, das nicht nach Alices Noten singt.

    Feminismus, das könnte immer noch ne tolle Sache sein. Wenn das Wörtchen nicht den Bestandteil ISMUS enthielte. Ismen stellen immer einen Codex auf: Verhaltensregeln, die zu starren Normen werden. Sie nicht zu befolgen, gehört abgestraft – oder doch wenigstens nicht aus einer Stiftung finanziert, die unter unser aller Ikone Fuchtel steht.
    Denn ihre Regeln, die hat sich diese Ikone schon immer selbst gemacht. Ob sie nun Artikel klaut oder Steuern hinterzieht oder mit Hilfe der Bild (!!!!) klarstellt, was Feminismus zu sein hat.

    (Anmerkung für Besserwisser: 1. ich weiß, dass es die Mitternachtsmission noch gibt. 2. ich weiß nicht, ob Kober Frau Schwarzer überhaupt um Hilfe gebeten hat. Falls ja: nehmt’s mir nicht übel, liebe Kober-Frauen und informiert mich unter emailadresse.)
    link: http://nordstadtblogger.de/wp-content/uploads/2013/11/2013-Offener-Brief-Kober-Kopie.pdf


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    drei kleine dialoge

    Gaaha! Womit starte ich meinen ersten ureigenen Blog? Worum geht’s mir überhaupt?
    Wer jetzt DAS Thema ihres Lebens benennen kann, wird von mir alles andere als beneidet.
    Mir geht’s um Alles und Alles, was sonst? Zu Ehren der Fotos von Klaus Pollkläsener beginne ich einfach mal mit

    3 kleinen Dialogen und 2 Monolögchen über mein und andererleuts Verhältnis zur Nordstadt:

    1993
    pünktlich zum Antritt einer Stelle habe ich eine Wohnung in der Missundestraße gefunden. Ich kam nämlich aus Wiesbaden, wo andere Leute Urlaub machen, zurück nach Dortmund, wo das speziell in der Nordstadt selten jemand tut.
    Arbeitskollege: Wo wohnen Sie denn, Frau Petermeier?
    Unsereine: Nordstadt.
    Arbeitskollege: Ach, Sie Arme. Aber wenn man unter solchem Druck eine Wohnung suchen muss…
    Unsereine: Ich hab mir die Nordstadt ausgesucht, ich find’s herrlich da.
    Fall geklärt. Die Neue hat ne Vollmeise.

    1997
    seit einem halben Jahr existiert unsere Kunstgalerie in der Lortzingstraße. Nachbar Wieland kommt zum ersten Male zu Besuch.
    Unsereine: Wie haben Sie denn zu uns gefunden?
    Wieland: Ich wohne um die Ecke. Wollte mal sehen, wie weit die Yuppiesierung der Nordstadt fortgeschritten ist.
    PRUST. Die Kunst, die Räume, der sommerliche Hof gefallen ihm.
    Unsereine: Willst’n Bier? Gläser gibt’s aber nur bei Ausstellungseröffnungen.
    Wieland: Gerne. Bin ja schon froh, dass du nicht Vernissage sagst.
    Wieland blieb ein gern gesehener Gast.

    2005
    in der Damenwelt eines Gartenfestes. Ich kenne fast keine und bin gerade in meine neue Wohnung eingezogen.
    Freundin: Hast du dich schon eingelebt?
    Unsereine: Das Viertel ist klasse, unheimlich lebendig, im wahrsten Sinne beider Worte.
    Dame: Ach, bist du auch ins Kreuzviertel gezogen?
    Unsereine: Seh‘ ich etwa so aus? Ich wohn‘ inne Nordstadt!
    Dame: Noooordstadt? Das ist doch Bunkenviertel.
    Unsereine: Ach ja? Wo, wenn nicht im internationalsten Viertel der Stadt kriegst du im Umkreis von 500 Metern Futti aus mindestens 5 Nationen?
    Die Dame zieht es vor, sich zu den Männern, also Grillmastern der Party zu begeben.

    2012
    Bürgerversammlung Nordstadt nach Schließung des Straßenstrichs im Gewerbegebiet. Hossa, die Waldfeen müssen ihrem Gewerbe nun wieder ungeschützt in Wohngebieten nachgehen.
    OB Sierau erklärt uns, wie kulturreich unsere Nordstadt doch ist: Roxy + Camera, Künstlerhaus + Depot, Sissykingkong, Bass, Langer August… wenn ich was vergessen habe, fragt einfach bei Sierau nach.
    Wenn das alles so toll ist (ist es!), warum wohnt der dann nicht selber hier? Da könnte er die Nase doch genauso hoch tragen wie wir!

    2014
    ICH BIN IMMER NOCH HIER, finde in einer alten Kiste die Fotos, die Klaus Pollkläsener in den 90ern aufgenommen hat und bewundere die Zärtlichkeit, mit der diese Bilder die Nordstadt beschreiben. (Danke nochmal dafür, dass ich sie hier nutzen darf).
    Würde man eigentlich über die Leute aus Rumänien und Bulgarien immer noch so dämlich rummaulen, wenn man bei Sonne den Zeitpunkt erwischt, zu dem der Eismann an unserem Spielplatz bimmelt und wenn man sich dazu genüsslich eine Runde PLUMBRANDYBLUES gönnt? (Wer dieses schöne Wort genau wie ich nicht sauber ausgesprochen kriegt, darf auch gern die Musik von Sandy Lopicic hören.) Der Eismann gehört bestimmt nicht zu den Motzköppen. Denn in den Tiefen ihrer bunten Plisseeröcke finden die Mütter immer noch die paar Cents, um ihre wimmelnden, lachenden, fußballspielenden und auf Klettergeräten tobenden Kinder noch glücklicher zu machen.

    letzte Meldung:
    DIE NORDSTADT IST IN TIEFER TRAUER. Wannimmer wir in den letzten zehn Jahren über die Mallinckrodtstraße nach Hause fuhren, erfreuten wir uns an FRISCHES FISCH in voller Einfahrtgröße und schönstem Blau auf Weiß. Frisches Fisch hat uns klammheimlich verlassen noch bevor unsereine dieses göttliche Schild fotografieren konnte. Sollte dies jemand vollbracht haben, würde ich mich über dieses Geschenk österlich freuen, auch wenn eine wirkliche Auferstehung wohl nicht zu bewerkstelligen ist.
    Was tun?
    Wenn wir mal wieder richtig kompetent ablachen wollen, müssen wir uns wohl auf Schalker Gebiet nach Wanne-Eickel begeben, denn dort präsentiert sich voller Stolz die

    Komptenzagentur Herne - Schild

    Genug der Nordstadtromantik. Ist es um unser‘ Alice und vor allem um KOBER nicht viel zu still geworden? Da lasse ich mich dann beim nächsten Mal drüber aus.