Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Wir sollten unbedingt Vorher-Nachher-Fotos machen

| Leave a comment

Das fiel mir gestern ein, als ich auf meiner Terrasse buddelte und meinem Frisör zuwinkte, der ein paar Stockwerke höher wohnt.

„Wer geht in Quarantäne-Zeiten schon zum Frisör?“ dachte ich und stellte mir glucksend vor, wie wir alle wohl in ein paar Wochen aussehen: die Locken sprießen, der Stinktierstreifen der Färbenden wird breiter, die rasierte Glatze braucht kein Poliermittel mehr.

Und unsere Balkone, Terrassen, Gärten: wie werden die aussehen, nachdem wir ausreichend Zeit zum Topfen, Pflanzen und Graben hatten? Hier wären jetzt schon mal meine Vorher-Fotos:

Eins ist gesichert: alle wissen dank des derzeit meist zitierten Spruchs, dass jede Krise ihre Chance birgt. So klug er ist, hängt er mir jetzt schon aus den Ohren und ich kann nur raten, das Tätowieren besagten chinesischen Schriftzeichens auf später zu verschieben.

Ich stelle mir aber gern vor, wie wir unsere Chance nutzen. Was werden wir uns alles zu erzählen haben, wenn wir uns irgendwann (natürlich nur platonisch) wieder in die Arme fallen:

  • Von blitzeblank geputzten Wohnungen, von Ecken, an die wir jahrelang nicht mal gedacht haben. Endlich ist Heilung für den Putzteufel in Sicht, dem ein Freund von mir immer heftig auf den Fuß tockte, sobald er ihn über seine Schwelle setzte. Seitdem spricht man vom Teufels-Pferdefuß – fragt sich nur, wie lange noch.
  • Von der Nummer „die Kuh ist in den Eimer getreten“, als sie beim längst fälligen Renovieren von der Leiter in den Farbeimer stieg.
  • Von den neuesten und komplett mehlfreien Back- und Kochrezepten (Mehl ist nämlich genau so aus wie Hefe, da müssen wir was erfinden)
  • Von den bunten selbst gehäkelten Gardinen, die bald das Fenster zieren und von der selbst genähten Sommermode.
  • Nicht zu vergessen: von den Turnübungen am Fenster oder auf dem Balkon: selten waren wir so bewegt wie zu den Zeiten, in denen wir nicht raus sollten. Peinlich war gestern, turnen am Fenster ist heute angesagt. Denn Bewegung tut bei frischer Luft erst richtig gut.

In einer Dortmunder Nordstadt(!)-Drogerie sah ich vorgestern das Körner-Regal leer gekauft: kein Leinsamen, keine Sonnenblumenkerne, nur ein tieftrauriges Chia-Samen-Tütchen weilte dort vor sich hin. Entweder wissen meine Nachbarn nicht mehr, wie sie ihr vieles Klopapier verwenden sollen oder wir gehen gemeinsam gesunden Zeiten entgegen. Fein!

Meine Fresse, wie belesen werden wir aus der Quarantäne-Zeit wieder rauskommen! Wenn wir endlich begriffen haben, dass es reicht, einmal am Tag die Nachrichten zu schauen oder zu hören, können wir uns gemütlich in den Sessel fleezen und schmökern. Alles, was bislang unsere Regale nur zierte (und die Umzugskisten zur Hölle werden ließ), können wir uns jetzt einverleiben. Bei Mangel an Literatur wendet euch einfach an Taranta Babu oder an mich.

Freuen wir uns auf all‘ die neuen Geschichten, Musikstücke und Kunstwerke, die gerade entstehen. Und wenn’s die Steuererklärung ist, mit der wir das Finanzamt in diesem Jahr mal pünktlich überraschen.

Wie hinreißend still die Stadt ist! Wollen wir’s dabei nicht belassen? Ich bin ganz verzückt vom Nichts, das ich höre, wenn ich vor die Tür gehe.

Die Astrid nimmt das alles mal wieder nicht ernst.

Doch, tut sie. Ich meine das toternst mit den Vorher-Nachher-Fotos. Denn sie sind eine von vielen Chancen, aus der Krise zu lernen. Oder zu sehen, ob wir etwas daraus gelernt haben, wenn wir sie noch später mit den Nachher-Nachher-Fotos vergleichen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.