Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Theo Petermeier, 16. August 1927 bis 24. April 2016

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PapaBVB

Der 3. Mai war ein außergewöhnlicher Tag im Leben unseres Vaters:
– es war der Geburtstag seines großen Bruders Willy, den er gern mit ihm feierte
– er wurde am 3.5.1944 verwundet, was ihm zugleich das Leben rettete, da er als Verwundeter nicht in russische Kriegsgefangenschaft musste
– am 3.5. 2009 verlor er seine geliebte Frau Else, mit der er 59 Jahre glücklich verheiratet war
– als wir ihn heute, am 3.5.2016, zu Grabe trugen, hat er uns gemeinsam mit unserer Mutter zugelächelt.

Als wir uns von ihm verabschiedeten, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht und auch, wenn es heute schwer fällt, sagte es uns, dass wir es weiter in die Welt tragen dürfen.

Theo, der Liebende und Vater
In Else hat er Ende der 40er Jahre sein großes Glück gefunden. Er war der Ruhige, sie brachte das Temperament mit. Sie begleiteten einander durch mehr als 60 Jahre wie ein Herz und eine Seele. Ihre beiden Familien wuchsen zusammen, genossen viele gemeinsame Feste und meisterten zusammen die schweren Zeiten. Die Frage, ob sie die in ihrer Zeit durchaus ungewöhnliche Erziehung ihrer beiden Töchter diskutierten, beantwortete er vor wenigen Tagen noch so: „brauchten wir nicht, wir waren uns einig.“ Die ersten Reisen der Eheleute gingen in die geliebten Berge, wo sie von den Gipfeln gemeinsam in die Weite sehen und glücklich sein konnten. Er hat oft betont, dass die Kindheit seiner Töchter zu den glücklichsten Jahren seines Lebens gehörte und wir können mit Stolz sagen, dass unsere Eltern uns eine glückliche Kindheit ermöglichten. Er nahm uns mit in die Bücherei, sobald wir lesen konnten, legte Wert auf eine gute Ausbildung und trug zugleich Sorge dafür, dass wir nie vergaßen, woher wir kamen. Er liebte es, seiner Frau und seinen Kindern Wünsche zu erfüllen und lehrte uns, dass Großzügigkeit und Bescheidenheit kein Widerspruch sind. Er war ein Ehemann und Vater, der liebte und sehr geliebt wurde, der von seinen Töchtern und dem Schwiegersohn Günther nach dem Tode seiner Frau nie allein gelassen wurde. Familie bedeutete für Theo Liebe und Zuverlässigkeit.
Als er 2014 Doris kennenlernte, kehrte die Liebe noch einmal zu ihm zurück. Er strahlte, lachte, sang und tanzte mit ihr zweieinhalb schöne Jahre lang und es war ihm aus vollem Herzen gegönnt.

Theo war ein begnadeter Tänzer – was er leider nicht auf seine Töchter übertragen konnte, wie wir bei Familienfeiern oft feststellen mussten. Bei Tanzveranstaltungen im Krautscheidhaus wollte fast jede der anwesenden Damen mit ihm tanzen, sodass er hinterher oft darüber lachte, dass diese nach ein paar Tänzen wieder sitzen durften, er jedoch den ganzen Abend wie ein Leistungssportler durchtanzen musste.

Theo, der Freund
Wenn er Freundschaften schloss, hielten sie, denn Loyalität gehörte zu seinen hervorragenden Eigenschaften. Seit fast 40 Jahren ging er mit seinen lieben Freunden schwimmen und kegeln, hielt alten Arbeitskollegen und Nachbarn die Treue. Sie kamen zu ihm, als er krank wurde, sie waren wichtiger Teil seines Lebens. Sie teilten Reisen, Ausflüge, Kegel- und Spielabende mit ihm, sie waren für ihn da, als er Else gehen lassen musste.
Es ist für uns als Töchter sehr berührend, in den letzten schweren Monaten und auch heute auf Menschen und Namen zu treffen, die wir schon aus Kindertagen kennen. Für diese langen und wichtigen Freundschaften sei im Namen unseres Vaters ganz herzlicher Dank ausgesprochen.

Theo, der Politiker
Nach seinen Erfahrungen der Jugendjahre war es ihm wichtig, aktiv am Aufbau der Demokratie in Deutschland und hier vor allem in Dortmund, teilzuhaben. Demokratie bedeutete ihm Engagement, Mitarbeit.
Es gab nichts Selbstverständlicheres für ihn, als in der SPD, der Gewerkschaft und der AWO aktiv zu werden. Er tat dies leidenschaftlich auf lokaler Ebene, leitete über lange Jahre seinen SPD-Ortsverein und war von 1979 bis 1994 im Rat der Stadt Dortmund tätig. Noch im Alter klebte er Plakate, verteilte Flugblätter, diskutierte auf der Straße und war immer für alle und alles ansprechbar. Der 1. Mai war für ihn der Tag der Gewerkschaftsdemonstration und es war ihm eine Freude, dort seine Freunde aus dem Ausländerbeirat zu begrüßen. In den letzten Jahrzehnten lag ihm die AWO-Seniorenarbeit besonders am Herzen und man kann mit Recht sagen, dass er zum Herzstück seines AWO-Ortsvereins wurde. Der Montagstreff für die alten Menschen musste erhalten werden und er bereicherte ihn gern mit Spielen, Vorträgen und Informationen.
Uns Töchtern wurde die Beteiligung an Wahlen als selbstverständlicher Bestandteil demokratischen Verhaltens vermittelt. „Was ihr wählt, ist eure Sache, aber geht wählen.“ Dann, mit einem Augenzwinkern: „Und wählt das Richtige.“ Das Wahlgeheimnis seiner Töchter blieb in der Familie immer gewahrt.

Theo, der Leser
Ausspruch seiner Mutter:
„Meine Söhne haben sich nie gestritten und wenn, dann darum, wer ein Buch zuerst lesen durfte.“
Er hätte gern in einer Bücherei oder Buchhandlung gearbeitet, was für ein Arbeiterkind der 40er Jahre nicht möglich war. So wurde er Schweißer und Leseratte, der seine ganze Familie infizierte. Der einzige Ort in seiner Wohnung, an dem keine Bücher zu finden sind, dürfte das Bad sein. Er nahm seine Töchter, als sie kaum lesen konnten, mit in die Hoeschbücherei und sorgte bis zum Schluss dafür, dass sie immer guten Lesestoff hatten. In den 60er und 70er Jahren war der Katalog der gewerkschaftlichen Büchergilde Gutenberg große gemeinsame Familienfreude: was suchen wir als nächstes aus? Er las Sachbücher, verschlang Romane und liebt es, darüber zu sprechen.
Meine letzte Buchdiskussion mit ihm drehte sich anlässlich des Romans „Ein Wochenende mit Gott“ um die Frage, warum Gott so großes Leid zulässt. Wir landeten dabei, dass nicht Gott, sondern wir Menschen das Leid verursachen und er es zulassen muss, weil wir sonst nicht lernen würden.

Theo und der BVB
– eine Leidenschaft, gegen die kein Kraut gewachsen war.
Althoffest
„Wollt ihr, dass Theo muffig hier rumsitzt oder wollt ihr ihn gleich glücklich vom Platz heimkehren sehen?“ war der Kommentar unserer Mutter, wenn jemand den Kopf schüttelte, weil Theo nicht an der Kaffeetafel saß.
1956 fuhr er mit 3 Arbeitskollegen, einem Zelt und einem kleinen Loyd zum Pokalfinale nach Berlin und zu unseren Kindheitserinnerungen gehört, dass wir ihn sonntags vom Stadion Rote Erde abholten. Für Spiele des BVB wurden Verabredungen verschoben und auf Reisen ging er nur mit einem kleinen Weltempfänger, um auch am Strand von Rhodos mitfiebern zu können. Im Stadion hatte er seinen festen Platz und in den letzten Jahren verfolgte er die Spiele mit seinem Nachbarn Willy oder dem Schwiegersohn Günther vor dem Fernseher oder in der Porreebar.
Er war glücklich, seine Großneffen Gabriel und Tobias als Kinder mit ins Stadion nehmen zu können und zur Meisterschaft 1995 zierte der Aufkleber „Ein Traum wird wahr“ sein Auto.
Als er am 16. Dezember den Herzinfarkt erlitt, entdeckte er als erstes den Fernseher im Krankenhaus und strahlte: „da kann ich ja nachher das Spiel sehen.“ Er hat es gesehen!

Theo, der Pazifist
Als 17-Jähriger in den Krieg geschickt, war es ihm ein lebenslanges Anliegen, friedvoll Sinn zu stiften. Auslöser, der SPD beizutreten, war 1954 die geplante Wiederbewaffnung Deutschlands, die er ablehnte. Bis 2016 brachte er kein Verständnis für Kriegseinsätze auf. Diese pazifistische Haltung prägte ebenso sein Verhalten als Vater: auch wenn dies in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren ungewöhnlich war, gehörten Schläge nicht in sein Erziehungsprogramm. So lange er konnte, nahm er an Friedens- und antifaschistischen Aktionen und Demonstrationen teil. Karfreitags durften wir ihn zur Gedenkfeier in der Bittermark begleiten und Ostern empfingen wir die Ostermarschierer auf dem Dorstfelder Wilhelmsplatz, um Neonazis entgegenzutreten.
Konflikte friedlich zu lösen war für ihn die einzige Möglichkeit, Konflikte überhaupt zu lösen.
Sowohl in der Politik als auch in seinen und unseren Beziehungen zu Menschen hielt er stets zur Toleranz an. Pazifismus bedeutete für ihn die Freiheit von Berührungsängsten. Nach der inhaltlichen Auseinandersetzung mit CDU-lern, Grünen, Linken oder auch Schalkern zusammen ein Bier zu trinken, bereitete ihm ebensoviel Freude wie Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen.

Theo, der Christ
Sozialdemokrat und katholischer Christ zu sein, stand für ihn niemals im Widerspruch, sodass die Zeitschriften „Dom“ und „Vorwärts“ ohne weiteres im selben Briefkasten Platz fanden. Seine Ehe mit Else war gelebte Ökumene, eine evangelisch-katholische Mischehe, deren Respektierung er in einer Zeit einforderte, als dies durchaus noch kritisch beäugt wurde.

Als ich in die Schule kam, freundete ich mich mit Ute an. Sie kam aus der Barackensiedlung am Leierweg, vor der wir Kinder ein bisschen Angst hatten, weil es dort wild und gefährlich zugehen sollte. Ute und die anderen Kinder aus dieser Siedlung wurden gehänselt und als Asoziale geschmäht. Vor allem aber war es allen anderen Kindern aus meiner Klasse verboten, die Barackensiedlung überhaupt zu betreten.
Ich durfte Ute dort besuchen, ebenso, wie sie häufig bei uns zu Hause war. Erst vor kurzem habe ich meinen Vater gefragt, warum ich das als Einzige in der Klasse durfte. Er sah mich verduzt an und sagte: „Ute war doch deine Freundin.“ Damit war der Fall für ihn erledigt.
Es waren übrigens spannende Besuche, die mir eine Welt öffneten, die ich nicht kannte und vor der ich auf diese Weise die Angst verlor. Mein Vater hat mich ohne große Worte gelehrt, dass Menschen gleich sind. Bei ihm hatten alle dieselben Startbedingungen. Standesdünkel ärgerten ihn.
„Wenn jemand stirbt,“ schreibt Albert Espinosa, „wird sein Leben unter den Menschen aufgeteilt, die ihn kannten. Das ist dann so, als würde er hundertfach weiterleben.“
Ich wünsche mir, dass die Haltung, die er mir als Kind vorlebte, durch mich weiterleben kann.

Unser Vater war ein ruhiger, eher stiller Typ, doch wenn er etwas sagte, war es durchdacht und hatte Gewicht. Er durfte wirken in seiner Zeit.
Vermutlich würde er jetzt sagen: macht nicht so ein Gewese, ich war doch nix Besonderes.

2 thoughts on “Theo Petermeier, 16. August 1927 bis 24. April 2016

  1. EIN LIEBEVOLL GESCHRIEBENER NACHRUF ÜBER DEINEN VATER: ICH KANN EINIGES NACHVOLLZIEHEN DA ICH MEINE FRAU VOR 14 MONATEN DURCH EINE ELENDE KRANKHEIT VERLOREN HABE: 55 JAHRE VERHEIRATET 62 JAHRE ZUSAMMENGELEBT.

  2. Liebe Frau Petermeier,
    die Trauerfeier Ihres Vaters war wirklich sehr bewegend und wenn man das so sagen darf – sehr schön.
    Ich glaube, es war ganz im Sinne von Theo.

    Herzliche Grüße
    Erika Aufdemkamp

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