Eigentlich hatte ich gar nicht vor, die Venus zu besuchen – damals, an einem brütend heißen Sommertag 2012. Ich bin auf dem Weg zu einem ausgedehnten Spaziergang durch den Fredenbaum, überquere auf Höhe der Haltestelle Lortzingstraße die Münsterstraße und denke: „Jetzt ist es soweit. Die Puffs erobern die Wohngebiete.“ Aber nein! Als ich näher komme, fällt mir was Witziges unter dem großen Schild
JAN THRA thaiMASSAGE
auf: Buddha und der BVB in einem Schaufenster traulich vereint.
Potzblitz, was ist denn das? Weil es so ein schöner Tag ist, steht die Besitzerin gleich davor und wir kommen ins Gespräch. „Keine Elotikmassage“ erklärt sie mir. Fünf Minuten später bin ich wild entschlossen, mal wieder das zu tun, was kaum jemand bei tierisch heißem Wetter macht: mir eine einstündige Ganzkörpermassage zu gönnen. Seitdem ist Jan Thra meine Nordstadtvenus.
Münsterstraße 164, 44145 Dortmund, Tel. 0231-84 79 77 40
Astrologisch betrachtet regiert die Venus gleich zwei Tierkreiszeichen: den Stier und die Waage. Da die Sonne zur Zeit das Zeichen Stier durchläuft, soll es heute genau darum gehen. (Zur Waage-Venus kommen wir dann im September).
In der Stier-Venus ist die Fähigkeit, das Sinnliche zu genießen, beheimatet. Sie möchte schön sein, fasst gern an und setzt sich mit (materiellen) Werten auseinander. Die Frage „Was ist mir etwas wert?“ steht hier im Raum, wobei die Venus nicht zwingend ein Raffzahn ist. Ebenso kann sie uns vor die Frage stellen, was der WERT an einer Sache ist: Essen muss gut sein, aber nicht unbedingt Schampus und Kaviar. Ein Stoff soll sich angenehm auf der Haut anfühlen, doch muss er teuer oder topmodisch sein? Die Venus will sich in und mit ihren Dingen, die sie be-greifen kann, einfach wohlfühlen.
Man sagt, dass die Stier-Venus sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt, also eingrenzt und festhält, was sie einmal hat. Der Nachteil daran ist, dass solche Begrenzungen gefangen halten können: wie geht es mir, wenn ich alles oder vieles habe, doch die innere Raserei nicht loswerde? Wie geht es mir, wenn hundert billigproduzierte Fummel auf der Haut jucken? Wie geht es mir, wenn ich mich trotz meiner Absicherungen nicht mehr wohl fühle in meiner Haut, die die natürliche Grenze zu anderen darstellt?
Weshalb die Haut dem astrologischen Prinzip Venus zugeordnet ist.
Innerhalb meiner Hautgrenzen fühle ich mich an dem Tag, an dem ich Jan Thra entdecke, nicht besonders. Ich betrachte mich als Stiernacken oder Spezialistin für blockierende Nackenmuskulatur – das kriege ich sogar ohne Smartphone immer wieder hin.
Also hinein und ausprobieren. Die Einrichtung bei Jan Thra ist eine herrliche Mischung aus liebevoll und professionell – also keineswegs kühl und modernistisch. Ihr kennt die Profimassageliegen mit dem Loch für’s Gesicht? Woanders guckt man dadurch auf irgendeinen langweiligen Fußboden und schließt rasch die Augen. Hier aber steht in kleinen Plastikwäschekörben ein liebevolles Arrangement aus Lotusblüten und Tüchern, in das ich mich sofort verliebe. Was für eine Symbolik: die geöffnete Lotusblüte in den Grenzen eines Wäschekorbes.
Die Fußwaschung, mit der es losgeht, schiebe ich beim ersten Mal noch auf meine Sommersandalen. Doch sie ist jedes Mal der Eingang: ein liebevoller Begrüßungsakt und gewiss ebenso Rettung der Masseurin. Das Besondere einer thai-Massage bei Jan Thra besteht darin, dass die Masseurin sehr viel Kraft aufwendet, intensiv in die Muskulatur geht und den Körper ordentlich bewegt – selbstredend nur dort, wo keine Probleme angesagt wurden. Ich bin froh, mich für die volle Stunde entschieden zu haben. Denn ich merke, dass ich Zeit brauche, meine Gedanken von der tosenden Münsterstraße und aus ungezählten Ecken meines Lebens zu klauben. Auf einmal aber bin ich ganz mein Körper, fühle, wie die Massage durch die Hautgrenze dringt und genieße es, nichts tun zu müssen, aber bewegt und dabei gleichzeitig ruhig zu werden. Aus der Hitze des Tages wird entspannte Wärme, ich bin weit weg und mitten in mir drin. Zum krönenden Abschluss gibt’s den besten Ingwertee, den ich kenne.
Seitdem bin ich Stammkundin auf meiner Nordstadtvenus.
Jan Thra, so weiß ich mittlerweile, ist der Name der Besitzerin. Bevor ich das erfuhr, schlug ich mich durchs Internet und fand bei Yogawiki diese ebenso treffende Erklärung für die Jantra-Zeichen-Welt:
Traditionell werden solche Symbole in der tantrischen Lehre verwendet, um den Geist zu konzentrieren, auszugleichen oder auf bestimmte spirituelle Ideen auszurichten. … Ein Yantra stellt das Zusammenwirken der makro- und mikrokosmischen Kräfte dar.
Zum Glück geht’s bei Jan Thra nicht nur symbolisch, sondern venusisch-sinnlich zu (keine Elotik…!!!) Nach jeder Massage fühle ich mich wohlig-still und verziehe mich in meine Grenzen, genieße den Rest des Tages für mich. Dafür verzichte ich gern auf anderes, obwohl ich die Preise äußerst gemäßigt finde (ab 18 € aufwärts, eine Stunde Thai-Massage 35 €). Ich merke vor allem, dass dieses herrlich-ruhige Gefühl nach einer Massage meine Kreativität, meine Lust auf spürbares, anfassbares Leben wieder weckt und betrachte dies als großen Wert.
So, wie ich mich nach meinen Jan Thra-Massagen erst in die Stille verziehe, um dann wieder kommunikativ zu werden, halten wir’s dann auch bei unserer Reise zu den Sternen der Nordstadt: Wenn Ende Mai die Sonne ins Zwillingszeichen wandert, geht’s auf zum Kollegen Merkur – der ein ganz Fixer ist, viel lernen, sich austauschen, Menschen und Dinge miteinander verknüpfen will.
Nachtrag 2016: Frau JanThra hat ihr Studio leider leider aufgegeben und ich muss beizeiten eine neue Stier-Venus finden, auf der sich’s genau so gut genießen lässt.