Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

Making of meines neuen Buches: „Magdalenas Magischer Moment“

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Seit meiner Magistra-Arbeit von 1986 beschäftige ich mich mal mehr, mal weniger mit der Malerin Artemisia Gentileschi. Mit diesem Bild ging es mir bei erster Ansicht  wie mit ihrem Selbstportrait als La Pittura, über das mir die Künstlerin ihrerzeit überhaupt auffiel:

etwas stubbte meine Seele an, berührte mich heftig.
Auf Ruhrdeutsch: „Boh-ey, was ist das denn?“
Romane über die Künstlerin gibt es zuhauf; meine 80er-Jahre-Idee, einen solchen zu schreiben, hatte ich längst ad acta gelegt. Aber dieses Bild reizte mich, eine Erzählung über sein Entstehen anzufertigen.

NUR EINE KLEINE ERZÄHLUNG,

in der es um Fragen wie diese gehen sollte:
– Was ist an der Figur Magdalena eigentlich dran, dass eine Künstlerin sie gleich mehrfach malt? Ist das wirklich nur der Auftragslage geschuldet oder könnte es einen Zusammenhang zu eigenen Erfahrungen aufzeigen? Wer als Opfer einer Vergewaltigung 1612 vor Gericht stand, ist vertraut damit, Hure, Flittchen, Süßer Köder (1) genannt zu werden – und Magdalena ist die Schutzheilige der Sünderinnnen.
– Was sagt die Kunsthistorikerin in mir zu diesem Bild? Was unterscheidet es von anderen Magdalena-Bildnissen Artemisia Gentileschis und anderer KünstlerInnen?
– Was ist an diesem Bild so besonders, dass es mich ungefragt im tiefen Inneren berührt?

Ich las nochmals die 1992 in deutscher Übersetzung erschienenen Akten des Vergewaltigungsprozesses  und fand darin eine Stelle, die ich ungemein aufregend fand: den Moment einer mutigen Entscheidung. War das der magische Moment, in dem sich Artemisia entschieden hat, die Malerei zu ihrem Beruf zu machen?
Es schien mir so und das Allerbeste war, dass dieser Zeitpunkt mit Datum und Uhrzeit in den Prozessakten vermerkt war. Da lacht das Herz der Astrologin. Da lachte es um so lauter, weil ich mich zu dieser Zeit in einer Stunden-Astrologie-Ausbildung befand. Ich gab dieses Studenhoroskop ohne jede Vorab-Erklärung über die Künstlerin und ihr Leben in die Ausbildungsgruppe und hatte heidnischen Spaß, als wir dort herausfanden, dass es sich wahrlich nicht um einen „ich-hol-mir-noch-ne-Flasche-Bier“-Moment handelte.
Natürlich stellt sich bei der Blind-Deutung eines Stundenhoroskops keine Astrologin hin und sagt: „Das war der Moment, in dem sich eine Frau für die Malerei entschieden hat.“ Doch die Trefferquote für die Atmosphäre und die Ereignisse im Leben Artemisia Gentileschis zu dieser Zeit war beeindruckend und ich konnte damit weiterarbeiten. Einen Artikel dazu veröffentlichte ich in der astrologischen Fachzeitschrift Meridian. Die Horoskopdeutung überließ ich Galileo Galilei, mit dem die Künstlerin nachweisbar gut bekannt war.

Als nächstes stürzte ich mich nach langen Jahren der Abstinenz auf die in der Zwischenzeit veröffentlichte Literatur. Um allerhand Ärgerliches zu entdecken:

FEMINISTINNEN-BASHING IST UNTER MUSTERGÜLTIGEN KUNSTHISTORIKERINNEN SEIT ETWA 2000 ANGESAGT.

Bis dahin hat sich außer Feministinnen und sehr wenigen Kunsthistorikern keine für Artemisia interessiert. Die ich übrigens nicht beim Vornamen nenne, weil wir uns so gut kennen, sondern weil sie ihren Nachnamen zwischenzeitlich wechselte und die Nennung beim Vornamen ihrerzeit üblich war (Michelangelos Nachname Buonarotti wird ebenso selten genannnt).
Ich stieß über die website Stendhal-Syndrom u.a. auf einen Bashing-FAZ-Artikel von 2017 (dafür haben die glatt eine ganze Seite übrig) und kann nicht anders, als dem Autor für ein feines Apercu zu danken:
In seiner Literaturliste fand ich gleich unter meinem Aufsatz von 1992 (!), der sich um einen Vergleich der Judith-Bilder Gentileschis und Caravaggios dreht (2) , einen Hinweis auf besagten FAZ-Artikel von Christine Tauber („Das vermeintliche Trauma der Artemisia Gentileschi als Exempel feministischer Fehldeutung“(3)), in dem sie behauptet, dass wir dusseligen Feministinnen nie auf die Idee gekommen wären, besagte Bilder kunsthistorisch zu vergleichen.
Nun, ich konnte gar nicht anders, als dem Feministinnen-Bashing ein halbes Kapitelchen meines Buches zu widmen.

MAGDALENA ALS MELANCHOLIE

ist ein Not-Titel, der dem Bild erst später, ich mutmaße sogar: in unseren Zeiten, gegeben wurde. Was uns heute beim Anblick des Bildes überhaupt nicht wunder nimmt, hätte Artemisia um 1620 vielleicht nicht so zu titeln gewagt.

Denn die Melancholie hat es in sich. Mary D. Garrard, amerikanische Kunsthistorikerin und Feministin (ihre Arbeit kleinzuschreiben ist nahezu Sport geworden), machte mich in ihrem Buchteil (4) über dieses Bild auf Marsilio Ficino aufmerksam: Humanistischer Philosoph, Arzt und Astrologe des 16. Jahrhunderts. Nun wurde es richtig spannend, denn er sah in der Melancholie eine besondere, schöpferische Kraft – ausgerechnet dem Planeten-„Bösewicht“ Saturn zugeordnet. Versteht sich, dass diese Kraft Frauen nicht zugänglich war. Die werden höchstens wahnsinnig.
Es war mir eine Freude, Artemisia mit Ficino und Saturn bekannt zu machen, um zu erklären, warum sie in ihrem Bild das sündige Weib namens Magdalena mit der Melancholie verbindet. Die wusste genau, was sie malte! Und sie hat ein paar Botschaften in dem Bild versteckt, die ich nicht nur dem Fachpublikum erzählend entschlüsseln möchte. Dazu darf sie gern bei einer einsiedlerischen Nonne im Kamillenfeld meditieren oder vor dem Fresko eines schielenden Kollegen das Grauen der Nacht erkennen.

Eines wurde mir langsam ebenso klar: für eine Erzählung war das viel, lang, reichlich. Ebenso befand meine Lektorin Claudia Dorka, dass ich die bis dato collagierten Teile aus den Jahren 1612-16-22 und 2019 moderierend miteinander verbinden sollte.

EINE ERZÄHLERIN? „NEHMEN SIE DOCH ZWEI, DA HABEN SIE EINE MEHR“,

erinnerte ich mich an einen alten Brötchen-Witz und ließ die Geschichte von zwei kochenden Freundinnen erzählen: einer Kunsthistorikerin und einer Astrologin.
Meine Erzählerinnen erfanden sogleich und frechweg das „Facebook“ des 17. Jahrhunderts, in dem Anna Anonyma, Mario vom Mars, der Kneipenwirt Luca Finocchi und andere sich über den Vergewaltigungsprozess von 1612 die Mäuler zerreißen.
Zugleich stehen die Erzählerinnen vor höchst persönlichen Fragen, die den Bezug des Bildes zur Jetzt-Zeit darstellen:
– Hast du selbst schon mal einen magischen Moment erlebt? Fühlte er sich wie eine spontane Erleuchtung an oder war er wie ein winziges Licht am Ende eines schier endlosen, düsteren Tunnels?
– Wieso reden wir dauernd von Depression, aber so selten von Melancholie?
Die Gespräche der beiden Freundinnen waren meine Möglichkeit, dem Fingerstubbs nahe zu kommen, mit dem dieses Bild auf meine Seele tippte. Besten Dank, liebe Claudia, ich hoffe, ich war nicht zu zickig, als du den Moderationsvorschlag machtest.

BERUFUNG

ist ein Thema des Büchleins, das nun vor mir liegt. Ein schwieriges Thema. Wer traut sich schon, sich zu etwas berufen zu fühlen? Wenn überhaupt, werden wir zu Großem berufen, nicht nur zu einem BüchLEIN – oder?
Seit 1986 wollte ich über Artemisia schreiben, ließ aber immer wieder „alles andere“ dazwischen kommen. Entsetzt, traurig und doch erleichtert, als andere Romanautorinnen ihrem Ruf schneller gefolgt waren als ich.
Mehr als 30 Jahre später wollte ich nur eine kleine Erzählung über ein einziges Bild hinlegen. Ich versuchte nicht einmal, einen Verlag zu finden, als doch ein Buch daraus geworden war. Vielmehr ging ich gleich zum Print-on-Demand-Dienstleister Tredition (denen für ihre gute Begleitung mein großer Dank gebührt!)
„Das Thema ist doch so speziell, das findet sowieso nur wenige Interessierte.“
„Für eine Erzählung zu lang, für ein Buch etwas dünn.“
„Kein Verlag der Welt gönnt mir 4 Farb- und diverse Schwarzweißabbildungen.“
So und ähnlich lauteten meine Predigten an mich selbst.
Zu erkennen, dass ich etwas zu sagen habe, in das ich viel Begeisterung, Forschung, Arbeit und auch Qual gesteckt habe, würde das Erkennen einer Berufung bedeuten – bewahre!

Wenn ich mir was wünschen darf, ist es dieses:
Frauen, die ihre Berufung – egal wie groß sie ist – erkennen und zu ihr stehen. Frauen, die Freundinnen haben, die sie ermutigen: Schultern gestrafft, Brust raus, Kopf hoch und ran an die Arbeit!

Das Buch ist als e-book und in gebundener Fassung für 16,00 Euro erhältlich, bestellbar

via email bei mir: anunsereine@astrid-petermeier.de

und bei Tredition. Sowohl der Verlag als auch ich schlagen noch 2 Euro Porto drauf, dafür signiere ich auch auf Wunsch.

Ihr könnt es natürlich auch in eurem Lieblingsbuchladen bestellen.


(1) In einem nach ihrem Tode veröffentlichten Spottgedicht wurde Artemisia als genil esca = süßer Köder bezeichnet.
(2) Astrid Petermeier: Artemisia Gentileschi + Michelangelo Merisi da Caravaggio: Judith enthauptet Holofernes, in: Volland, Gerlinde: Einsprüche, Dortmund 1992, S. 5 ff
(3) Christine Tauber: Judith, mach deinen Abschnitt. Das vermeintliche Trauma der Artemisia Gentileschi als Exempel feministischer Fehldeutung. In: F.A.Z., 23.8.2017, Nr. 195, N3
(4) Mary D. Garrard: Artemisia Gentileschi around 1622. The Shaping and Reshaping of an Artistic Identity, University of California Press 2001

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