Astrid Petermeier

Neues aus dem Rührgebiet

STRENGES MASS IST ZUGLEICH GRÖSSTE FREIHEIT

Im September 2004 beginnt der Künstler Robbert Ewers mit der Umsetzung des Konzepts einer unlimitierten Unikat-Edition der A & O Bildtafeln nach dem Prinzip einer offenen Serie. Jede A & O Komposition ist hinsichtlich der gewählten Komponenten einzigartig. Die für eine Serie notwendig zugrunde liegende Matrix ist denkbar einfach:
Die Größe der Bildttafeln beträgt je 10 x 10 cm, sie sind monochrom mit einer Farbe lackiert, auf die die Großbuchstaben A und O aufgebracht sind. Für diese Zeichen verwendet der Künstler die sehr schlichten serifenfreien Typografien Helvetica medium bzw. bold und Futura medium.A+O-sechser
Diesen strengen Vorgaben stehen wenige Variablen gegenüber, als da sind: Trägerfarben, Typografie, Anordnung und Größe der Zeichen in matter oder glänzender Oberflächenqualität. Es handelt sich bei den Prinzipien Matrix und Variablen um die Vorgabe einer Form einerseits und ihrer individuellen Gestaltung andererseits.
Was in Sprache übersetzt monoton anmuten mag, erscheint selbst angesichts eines Teils dieser Bilderserie in einer erstaunlichen Vielfältigkeit, die zugleich deutlich macht, dass und warum es sich um eine offene Serie handelt.
„Strenges Maß ist zugleich größte Freiheit“ lautet eine Weisheit, die ich als Zehnjährige in meinem Poesiealbum nicht sonderlich zu schätzen wusste. Anhand der A & O – Serie wird sie so klar wie die Philosophie eines Epikur, die Lust und Vergnügen ebenfalls aus der Selbstbeschränkung bezieht.
Die wenigen Variablen erweisen sich de facto als unendlich große Spannweite, weil ihre Bedingungen Form, Größe und Farbigkeit lauten.
Auch hier finden wir eine Voraussetzung zur offenen Serie: im Gegensatz zur Strenge der Matrix stehen die Variablen als Gestaltungsarten für die Unmöglichkeit eines bestimmten oder stimmigen Schlusspunktes. Eine geschlossene Serie unterscheidet sich insofern, dass die Variablen die Anzahl von Möglichkeiten eingrenzen, also eine mathematische Lösung beinhalten. Eine Bilder-Reihe verlangt nach einer inhaltlichen oder gestalterischen Verknüpfung zwischen ihren Einzelbildern, die über die Matrix hinausweist, was hier wiederum nicht vorhanden ist. Jede der A & O – Tafeln kann für sich allein stehen, ohne an Aussagekraft zu verlieren – eine notwendige Verknüpfung unter den einzelnen Tafeln ist nicht ersichtlich.
Was aber ist die Aussage von Bildern, die aus den Zeichen für die Buchstaben A und O sowie einem farbigen und quadratischen Bildträger bestehen?
Ein Mensch, dem nicht augenblicklich A und O im Sinne von Anfang und Ende, also Alpha und Omega des griechischen Alphabets einfällt, kommt vermutlich aus einem völlig anderen Kulturkreis als unserem westlichen. Anfang und Ende aber haben mit Werden und Vergehen und Werden und … … zu tun, entsprechen insofern der offenen Serie. Alpha und Omega übersetzt in A und O sind Buchstaben, Vokale, die über die alphabetische Listung hinaus nicht für Anfang und Ende stehen, sondern als Buchstaben und Vokale immer wieder benutzt werden – benutzt werden müssen, zur Verständigung!
Kommt man aus einem anderen Kulturkreis, hat man es mit einer Dreiecksform für das A, einer Kreis- bzw. Ovalform für das O und einem Quadrat als Bildträger zu tun. Das Dreieck gilt als die stabilste geometrische Form, der Kreis als die labilste. Miteinander ins Bild gesetzt ergeben diese Formen ein großes Spannungsmoment.
Dieses wiederum ist abhängig von der freien Gestaltung, also den Variablen, die Robbert Ewers gesetzt hat. In Extremen kann das O das A umfangen (oder: der Kreis das Dreieck), bzw. ist das O als Winziges in den Stempel des A eingepasst. Man kann diese Gestaltungen höchst bedeutungsvoll verstehen oder es lassen.
Hier sei der individuellen Interpretation der Betrachtenden der Vorzug gelassen, die aus dieser Gestaltung Botschaften vom Zeichen der Anarchisten (A im Kreis) bis zu A-Saft und O-Saft lesen wollen. Ich erwähne dies nicht als Scherz am Rande, denn die Annahme eines Bildwerks durch seine Rezipienten ist wichtiger Bestandteil sowohl des Einzelbildes als auch der Serie. Sie trägt bei zum Wesen(tlichen) jedes einzelnen Bildes.
Sieht man viele der A & O – Tafeln, z.B. nebeneinander als Fries gehängt, gehen sie eine äußerst lebendige Gemeinschaft ein.

A+O-wand

Die Trägerfarben der Tafeln kämpfen und/oder verbünden sich miteinander. Die Zeichen tanzen in ihren verschiedenen Größen und Anordnungen mal Step, mal Tango, mal Walzer oder Breakdance. Entscheidend ist, dass die Betrachtenden eine Bewegung wahrnehmen, die im Sinne unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse keinesfalls stattfindet. Es ist allein die Wahrnehmung von Farben und Formen, die Bewegung evoziert. Allein? Ich halte es für etwas ausgesprochen Wichtiges, in unserer Zeit die Wahrnehmung in Bewegung zu bringen und zugleich wahrzunehmen – FÜR wahr zu nehmen – dass intensives Wahrnehmen immer Bewegung bedeutet.
Damit zurück zur Überschrift.

Astrid Petermeier
2008

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